Journalisten sollten den Dingen über die sie berichten und
schreiben auch mal auf den Grund gehen. Das ist oftmals unmöglich
weil es viel Zeit erfordert und man ja letztlich an den finanziellen
Ressourcen scheitert. Aber manchmal hilft bei strittigen Themen ein
Selbstversuch.
Infraschall
und Schlagschatten-Auswirkungen von Windrädern sollten ernsthaft
untersucht werden.
Fotomontage: Wolfgang Tischler
Region:
Das Thema Windkraft spaltet die die Region und die
Menschen im gesamten Westerwald. Da gibt es die Befürworter der
Energiewende, die auf Sonne und Wind setzen. Der Strom kommt ja
schließlich nicht nur aus der Steckdose, er muss ja irgendwo erzeugt
werden. Die meisten Menschen befürworten den Ausstieg aus Atom- und
Kohleenergie. Aber irgendwo her muss der Strom ja kommen.
Bürgerinitiativen schießen wie Pilze aus dem Boden, die sich gegen
Windkraftanlagen richten. Ein Widerspruch, der sich beim Bau
alternativer Energieanlagen ebenso offenbart wie beim Bau neuer
Stromtrassen. Jeder will Strom, billig, sicher, aber möglichst keine
Trasse oder Erzeugeranlage vor der Haustür.
Wind und Sonne.
Klingt ja erst einmal gut, muss man ja nicht bezahlen. Es werden
keine Landschaften zerstört (Braunkohle) und den Enkeln hinterlassen
wir keinen unbeherrschbaren Atommüll. Aber ist das wirklich so
einfach? Was ist mit Natur, Umwelt, mit den Menschen die derzeit hier
leben? Zwei Kritikpunkte der Windkraftgegner : Schlagschatten und
Infraschall – die Auswirkungen auf Menschen. Also mal ein
Selbstversuch, 12 Stunden in der gesetzlich vorgeschriebenen Nähe
eines Windrades leben und arbeiten. Das wurde durchgesetzt. Und ein
geeignetes Objekt gefunden. Bewohner eines Aussiedlerhofes an der
Grenze zu Nordrhein-Westfalen konnten sich nicht gegen die Errichtung
eines Windrades in unmittelbarer Nähe wehren. Es wurde genehmigt und
von einem privaten Betreiber auf der RLP-Seite errichtet. Sie mussten
an den Sonnentagen den Schlagschatten und den Windtagen die Geräusche
hinnehmen.
Im Bauernhaus hatte man schon nach kurzer Zeit die
Negativauswirkungen auf das tägliche Leben bemerkt und mit einer
Neuordnung der Räume begonnen. Nur die Küche, Hauptarbeitsraum der
Landwirtin und Treffpunkt der Familie ließ sich nicht verändern.
Auf dem Hof gab es viel Platz, viele Zimmer mit Glas um den
atemberaubenden Blick auf das Bergische Land und den Westerwald
genießen zu können. Der ideale Platz für einen solchen Test. „An
Sonnentagen mit Wind kann man hier verrückt werden, egal wo man ist,
in der Küche, im Garten, im Wohnzimmer, überall bewegt sich was, es
gibt keine Ruhe“, hatte die Frau des Hauses bei der ersten
Kontaktaufnahme berichtet. Außerdem höre sie ständig ein Surren,
mal mehr, mal weniger. Der Hausherr hört es nicht, der Sohn, der in
der Landwirtschaft mitarbeitet auch nicht. Die weiteren
Familienangehörigen sind da nicht hilfreich, alle haben zum „Surren“
eine unterschiedliche Wahrnehmung.
Eines stört nach
intensiven Gesprächen alle: die ständigen Bewegungen des
Schlagschattens. Der stört sogar die fröhliche Runde im Garten bei
Erdbeerkuchen und Kaffee. Nichts ist mehr ruhig im Blickfeld, egal wo
man ist und was man tut. Nur bei Dunkelheit. Dem Aufenthalt auf dem
Hof steht nichts im Wege, ein windiger heller Sommertag scheint
ideal.
Im Wohnzimmer mit einem herrlichen Blick in die Natur
wird der Laptop aufgebaut, die Arbeit beginnt. Trotz der ungewohnten
Umgebung läuft es zunächst, doch dann wird es zunehmend
schwieriger. Die Reflexionen des Schattens, selbst im Zimmer, zwingen
zur Pause, da sie nerven. Also ab in die Küche des Hauses, da kann
es ja eigentlich nur besser sein, da derzeit der Sonnenstand hier
Schattenlage verspricht. Fenster auf, frische Morgenluft reinlassen
und weiterarbeiten. Es geht, aber nach ungefähr einer Stunde zwingt
die Hand immer häufiger auf die Ohren zu drücken. Etwas irritiert
und stört die Konzentration. Tinnitus? Nach einer weiteren Stunde
unerträglich, aufhören ist angesagt.
Raus in den Garten,
Pause, mal was ganz anderes machen. Bohnen pflücken und Unkraut
jäten steht auf dem Programm. Schön ist es in dem Bauerngarten,
aufatmen. Zweifel an den Schilderungen der Familie kommen auf, doch
nach einer halben Stunde ist dieser komische Druck auf den Ohren
wieder da. Die Hände gehen fast automatisch zu den Ohren, drücken
und versuchen das lästige Gefühl los zu werden. Auch das Sichtfeld
nervt. Blick auf das nahe Windrad, es dreht sich fleißig und
produziert Strom.
Das Wetter ändert sich, der Wind lässt an
diesem Tag nach, Wolken ziehen auf. Die Rotorblätter stehen am
Nachmittag still. Von der Familie wird das begrüßt, die rund 60
Milchkühe müssen jetzt versorgt werden und angeblich sind sie
bedeutend ruhiger, wenn das Windrad still steht. Also ab in den
Melkstall. Dort herrscht emsiges Treiben, die Tiere werden im
Offenstall versorgt und sollen anschließend in den Melkstand. Nehmen
Tiere, in diesem Fall Milchkühe, Schlagschatten oder Infraschall
überhaupt wahr? Laut den Schilderungen des Landwirtes sind die Tiere
wesentlich ruhiger wenn die Windkraftanlage still steht.
Dies
betreffe auch die Mutterkühe und ihre Kälber draußen auf der
Weide. Also ab auf die Weide zu den Kälbchen und ihren Müttern.
Acht Kälber und ihre Mütter sind hier und genießen den Sommertag.
Ein schönes friedliches Bild. Vogelgezwitscher übertönt die
Verkehrsgeräusche der nahen Kreisstraße. Was ist da wirklich dran
an den Schilderungen der Windkraftgegner?
Nachdenken,
beobachten, sondieren, analysieren, Fakten sammeln ist angesagt.
Plötzlich ändert sich das friedliche Bild auf der Weide, die Kälber
drängen sich an die Mutterkühe. Ein Fuchs oder Hund? Es ist nichts
Aufregendes zu entdecken. Aber das nur knapp 500 Meter entfernte
Windrad läuft wieder.
Der Tag im Selbstversuch in der Nähe
einer Windkraftanlage geht zu Ende. Es ist dunkel geworden, kein
Schlagschatten trübt das Blickfeld und in Dämmerung gibt es noch
Leckeres vom Grill. Das Angebot, die Nacht auf dem Anwesen zu
verbringen wird abgelehnt. Die Ohren/Sinnesnerven und die nervösen
Hände, die dauernd versuchen die Irritationen auszugleichen, zwingen
dazu.
Fazit: Infraschall und
Schlagschatten-Auswirkungen sollten ernsthaft untersucht werden. Die
Auswirkungen auf Menschen und Tiere sind bislang nicht ausreichend
belegt und erforscht und bevor man ganze Regionen in bewohnten
Gebieten einer Windkraftlobby opfert, sollte man dies
wissenschaftlich mit Experten völlig wertneutral und ergebnisoffen
prüfen. Die Möglichkeiten sind ja vorhanden. Im Selbstversuch gibt
es ein sehr persönliches Ergebnis: Wird in meiner unmittelbaren
Umgebung eine Windkraftanlage gebaut, werde ich diesen Wohnort
verlassen. Meine Empfehlung an alle, die derzeit im Westerwald und an
der Sieg für die Errichtung von Windkraftanlagen plädieren: Einen
Tag im Schatten einer solcher Anlage verbringen.
Helga
Wienand-Schmidt
WW Kurier 2016